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Wie die deutsche Justiz auf Prags Stasi hereinfiel

1972 entführten junge Tschechen ein Flugzeug nach Deutschland – dort schickte man die Freiheitsuchenden dafür ins Gefängnis. Neue Recherchen belegen: Die deutsche Justiz ging der Stasi auf den Leim. Von Hans-Jörg Schmidt

Flugzeugentführung nach Deutschland 1972

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Foto: Petr Vrána/Media-Archiv Prag/ Stern 1978Zehn Jugendliche aus der Tschechoslowakei flohen im Juni 1972 mit einem gekaperten Flugzeug nach Deutschland. Im Handgemenge wurde der Pilot erschossen. Eine Ausstellung im Prager Künstlerzentrum DOX zeigt jetzt ...

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Juni 1972: Auf dem kleinen tschechischen Flugplatz in Marienbad steigen zehn junge Menschen in ein Flugzeug Richtung Slowakei ein. Sie sind zwischen 17 und 22 Jahre jung, langhaarig, unangepasst und wollen nichts wie weg aus ihrer sozialistische “Heimat”. Kurz nach dem Start kapern sie die Maschine und zwingen den Piloten mit einer vorgehaltenen Pistole zur Kursänderung Richtung Deutschland.

In einem Handgemenge trifft eine Kugel den Flugzeugführer. Der Co-Pilot steuert zwangsweise Weiden in der Oberpfalz an. Dort werden die Jugendlichen festgenommen und zu langen Haftstrafen verurteilt. Zu Unrecht, wie neue Recherchen beweisen, über die am Wochenende Radio Prag berichtete : Die deutsche Justiz fiel auf manipulierte Informationen der tschechoslowakischen Stasi herein.

Fast jeder Tscheche kennt diese Story. Die kommunistischen Machthaber verarbeiteten sie in einer Fernsehserie des “Majors Zeman”, der eine Art Ostblock-Derrick sein sollte, in Wahrheit aber ein Stasi-Kriminalist war.

Wie Schwerverbrecher behandelt 

Die jungen Leute hatten eine unterschiedliche Vergangenheit. Einige waren nach dem zerschlagenen Prager Frühling in den Westen gegangen und nach einem fingierten Amnestieangebot nichtsahnend in die Tschechoslowakei zurückgekehrt. Dort bekamen sie schnell mit, dass sich nichts geändert hatte – das Sagen in Prag hatten harte Stalinisten.

Andere aus der Gruppe versuchten jahrelang, über Reisen nach Jugoslawien in den Westen zu gelangen; ihre Anträge wurden jedoch abgelehnt. Als sich beide Gruppen trafen, bei Musik und Drogen, wuchs ihr Plan, illegal in den Westen zu gehen.

Am 8. Juni 1972 besteigen alle ein kleines Flugzeug in Marienbad, einem Provinzflugplatz mit nur laxen Kontrollen. Problemlos schmuggeln sie zwei Pistolen an Bord. Kaum ist das Flugzeug in der Luft, entern sie das Cockpit und fordern die Crew zur Kursänderung auf. Es kommt zu einem Handgemenge, in dessen Folge der Pilot tödlich von einer Kugel getroffen wird.

Der Co-Pilot steuert die Maschine nach Weiden in der Oberpfalz. Dort nimmt man die Entführer fest, behandelt sie wie Schwerverbrecher. Deutsche Zeitungen beschuldigen sie des Mordes, noch bevor ein Prozess gegen sie begonnen hat.

Prager Stasi erfindet Vorstrafen 

In der Tschechoslowakei spricht man von einer verbrecherischen Vereinigung.Kaum anders lesen sich Aussagen des deutschen Oberstaatsanwaltes Wilhelm Meier im “Spiegel”: Die Entführer seien “aufgrund ihrer in der CSSR auffälligen Kleidung, schulterlanger Haartracht und ihres Gesamtverhaltens immer wieder in Konflikt mit der Prager Polizei geraten und haben sich im westlichen Ausland eine besseres und ungebundenes Leben erwartet”. Die Worte vom “ungebundenen Leben” finden Eingang in die Anklageschrift. Ebenso die Behauptung von den Vorstrafen in der CSSR.

Die waren von der Prager Stasi erfunden worden und ohne Prüfung von der deutschen Justiz übernommen worden. Die zimmert eine Anklageschrift wegen “schwerer Luftpiraterie und in einem Fall wegen vorsätzlicher Tötung” des Piloten. Der mutmaßliche Todesschütze erhängt sich daraufhin in seiner Zelle.Die anderen werden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Gitter statt Freiheit.

Schlampiger Autopsie-Befund 

40 Jahre nach dem Ereignis hat der tschechisch-deutsche Künstler Petr Vrana den Fall aus Eigeninteresse untersucht und seine Recherchen an diesem Wochenende gegenüber Radio Prag offenbart. Die werfen ein denkbar schlechtes Licht auch auf die damalige deutsche Justiz.

Demnach basierte die Mordanklage auf einem schlampigen Autopsie-Befund aus Weiden. In Prag untersuchte man danach den Körper des toten Piloten noch einmal. Mit anderen Befunden. Die belegen, dass der Pilot keineswegs einfach so erschossen wurde. Es sei vielmehr zu einem Handgemenge gekommen. Pilot und Entführer hätten beide die Waffe in der Hand gehabt, als sich der verhängnisvolle Schuss löste. Die Schuldfrage war danach völlig offen. Zwei heutige tschechische Kriminalbeamte schließen einen Mord definitiv aus. Im Klartext: Die Anklage vor 40 Jahren war falsch.

Vrana fand zudem Akten, die einen regen Kontakt zwischen Staatsanwalt Meier und der tschechoslowakischen Stasi belegen. Danach hat der Co-Pilot unterschiedliche Aussagen zu dem Vorfall gemacht. Der Staatsanwalt ignorierte genau die, die für den Angeklagten sprachen.

“Wir sind auf das Unglaubliche gestoßen, dass sich beide Seiten – Bayern und Prag – gegen die Langhaarigen zusammengetan haben, um sie möglichst streng zu bestrafen”, sagt Vrana dem Radiosender.

Der Führung in Prag war das recht 

Die Flugzeugentführer wurden zu Haftstrafen zwischen drei und sieben Jahren verurteilt. Der Führung in Prag kam dieses Urteil gerade recht. Wenn selbst der Westen die Republikflüchtigen zu Mördern stempelte, waren die auch ohne eigene kommunistische Propaganda ausreichend diskreditiert und warnendes Beispiel für mögliche potenzielle Nachahmer.

Einer der Entführer, Jaromir Dvorak, hat vergangene Woche von Vrana erfahren, dass die Mordanklage unberechtigt gewesen ist. “Ich bin erleichtert, dass dies jetzt vom Tisch ist”, sagte Dvorak Radio Prag. “Für mich persönlich ist das eine Art Genugtuung. Aber die Sache ist jetzt 40 Jahre her. Kein Mensch interessiert sich jetzt mehr dafür.

Ganz so stimmt das nicht: Der Fall läuft regelmäßig mit all den anderen des dubiosen Stasi-Majors Zeman auf privaten tschechischen Fernsehkanälen. Zum Verdruss von damaligen Regimegegnern. Vielleicht, so hoffen die, ist die neue Enthüllung jetzt Anlass genug, die Ausstrahlung der peinlichen Stasi-Serie mehr als 20 Jahre nach der “Wende” endlich zu beenden.